Herrmann Sottong: Wir sitzen in diesem schönen Dachgarten hier oben zusammen in der Petra-Kelly-Straße in München. Ist es eigentlich noch Schwabing hier?
Doris Knair: Ja, Schwabing West.
Herrmann Sottong: München Schwabing West, um ganz präzise zu sein. Und vielleicht fangen wir damit an, dass sie als jemand, der jetzt das Projekt von Anfang an mitgetragen, mitinitiiert und mitgestaltet hat, uns ein bisschen erzählen über die Hintergründe, wo sind wir hier, wie ist das entstanden dieses Quartier.
Doris Knair: Das war früher Militärgelände der Bundeswehr, aber schon im Ersten Weltkrieg auch Militärgelände, also hat eine lange Kasernen-Tradition. Und ist dann von der Bundeswehr als die ganzen Kasernen aufgelassen worden sind der Stadt übergeben worden mit der Maßgabe Wohnungsbau hier zu machen. Also ich weiß noch damals als es noch Militärgelände war, dass ein Hubschrauber hier eingeflogen ist. Das hat man vom Olympiaberg aus gesehen. Aber dann sollte es eben bebaut werden und das ist in vier Bauabschnitten passiert und wir sind in Wagnis 4 und wir waren im vierten Bauabschnitt. Wir sind 2014 eingezogen und ab 2010 haben wir geplant.
Herrmann Sottong: Wagnis 4, also der der Name der Genossenschaft, der auch ein Bedeutungsvoller ist, weil er auch von vornherein anzeigen soll, dass sie hier neue Wege gehen wollten. Und dazu gehört einen der größten Dachgärten Mitteleuropas mitzugestalten, mitzuplanen und von vornherein in den ganzen Planungen miteinzubeziehen.
Doris Knair: Genau.
Hermann Sottong: Herr Wirzmüller, im Vorgespräch habe ich von Ihnen gelernt, dass man sowas nicht nachträglich auf die Dächer zaubern kann, sondern das ist schon in der Dimension und in der Qualität etwas, was man bei der Planung von vornherein berücksichtigen muss, weil es einfach Voraussetzungen verschiedenster Art gibt für so ein Projekt.
Rupert Wirzmüller: Wichtige Voraussetzung ist, dass jeder der Bewohner gleichwertig aufs Dach kommt, das heißt der Aufzug und das Treppenhaus müssen ganz raufgehen und barrierefrei erschlossen sein und man muss ihn von Anfang an im Prinzip schon im Vorentwurf der Gebäudeplanung mitplanen. Da geht es vor allem erstmal um die Statik und die Haustechnik, um so banale Dinge, dass wir keine Kühlgeräte am Dach brauchen können oder, dass Sanitärleitungen nicht mitten im Weg rauskommen. Da müssen alle Fachplaner und die Architekt*innen an einem Strang ziehen.
Hermann Sottong: Und wenn ich mir jetzt vorstelle, ich würde hier im 2. Stock wohnen, dann hätte ich sozusagen die freie Auswahl, ob ich zwei Stockwerke heruntergehe, und bin im Innenhof-Grün, oder zwei Stockwerke mich nach oben bewege und bin hier in diesem wunderbaren Dachgarten. Da kann ich mich jeden Tag neu entscheiden, wo ich hinmöchte.
Doris Knair: Wobei wir hier Wert darauflegen, dass es relativ ruhig ist auf dem Dach, also da gibt es keine lauten, großen Kinderspiele unten ist es eher so, dass die Kinder spielen können und auch toben können, das haben wir auch so ein bisschen abgegrenzt.
Hermann Sottong: Also was einem auffällt, wenn man hier oben sein darf, dann ist sofort klar, dass es nicht einfach irgendwie nur grün ist, sondern, dass hier regelrecht Räume gestaltet sind innerhalb des Dachgartens. Verschiedene Typen von Rückzugsmöglichkeiten aber auch Möglichkeiten, wie wir hier jetzt zusammenzukommen. Ist es eher so die Umsetzung der Ideen des Architekten, des Landschaftsplaners oder ist das gemeinschaftlich entstanden in Zusammenarbeit mit den Bewohner*innen?
Rupert Wirzmüller: Das Spezielle an dieser Genossenschaft ist, dass die Bewohner sehr früh schon im Projekt dabei sind, zwei bis drei Jahre bevor sie einziehen und eigentlich schon oft vor den Planern dabei sind und dann schon das Programm mitgeben. Bei uns war es so, dass wir als erste Frage in den Raum gestellt haben, was machen die Leute, was wollen sie am Dachgarten machen und da war neben der Photovoltaik, die ja immer wichtig ist, das Gärtnern, also der Anbau von Gemüse, Kräutern, Blumen schon auch sehr wichtig. Und die Wertigkeit wir haben es dann einfach fast gedrittelt: ein Drittel Energie, ein Drittel Rückzug in größeren oder kleineren Gruppen oder allein auch am Dach in der Sonne und ein Drittel der Anbau. So ist das hier auf dem Dach verhandelt worden. Und wie es dann genau geworden ist, da hat es zwei bis drei Varianten gegeben, worüber abgestimmt wurde. Und es ist sehr, sehr viel Partizipation in der Planung schon verwirklicht worden.
Hermann Sottong: Welchen Effekt hat es, wenn so ein ja so ein Naturraum, so ein zusätzlicher schöner Raum für alle Bewohner, zur Verfügung steht. Was passiert hier im Miteinander, dadurch, dass so ein Raum vorhanden ist?
Doris Knair: Man kann hier raufgehen und einfach ein Buch lesen oder die Blumen genießen oder wenn man ein Beet hat oder ein Beet betreut dann kann man Gärtnern, aber man kann sich auch mit anderen treffen, man kann sich mit Nachbar*innen treffen. Wir haben eine Feuerschale, die ist sehr beliebt. Am Abend so ein kleines Feuerchen machen oder mit Kindern Würstel grillen. Aber man kann auch Gäste einladen und da sind diese angesprochenen Gartenzimmer sehr angenehm, weil man seine Gäste in so ein kleines Gartenzimmer einladen kann und dann kann man auch für sich sein, obwohl man auf dem gemeinschaftlichen Dach ist. Also es wird sehr gut angenommen und sehr gut genutzt und es ist auch was Besonderes hier, weil wir tatsächlich vor dem Einzug viel mitgearbeitet haben, also die die Holzbänke haben wir selbst genagelt, wir haben das Material gekriegt von Herr Wirzmüller und haben selbst gepflanzt und das macht einfach einen sehr engen Bezug zum Dach und hat uns auch zusammengebracht auf eine Weise, die sonst nicht passiert wäre.
Hermann Sottong: Also ich habe auch das Gefühl, sie begleiten das ja auch weiterhin als Ihr Herzensprojekt. Sehen wie sich was verändert, einfach dadurch, dass Menschen das Nutzen, was sie ihnen sozusagen vorgelegt haben, da gibt es ja sicher auch Grenzen, also Sie haben das Stichwort gesagt: mediterraner Dachgarten. Vielleicht kommen wir da noch drauf. Das hat ja auch einen guten Grund, warum bestimmte Pflanzen auf einem Dach sein sollen oder können und andere nicht gedeihen. Ist es für Sie selbst ein Lernprozess hier?
Rupert Wirzmüller: Ja, ich habe sehr viel gelernt, also nicht nur den Umgang mit Leuten, die selbst bauen wollen und das Anleiten von solchen Leuten, eigentlich Laien, wie man denen Pläne zeichnet, so dass sie es auch verstehen, anders als in der Zusammenarbeit mit Handwerkern, wie viel Geduld man haben muss, habe ich sehr viel gelernt. Ich habe auch technisch sehr viel gelernt aber auch sehr viel Glück gehabt mit meinem ersten größeren Dachgarten-Projekt. Dass manches, was eigentlich schief gehen hätte können, vielleicht auch durch Glück nicht schief gegangen ist. Und natürlich wird es in den nächsten Projekten dann zum Teil noch besser, noch schöner vielleicht wird es auch manchmal billiger. Es wird aber nicht immer schöner. Also das ist jetzt unser größter Dachgarten und was Sie vorher gefragt haben: Er war damals, im Wohnungsbau in Deutschland oder im Mitteleuropa, der Größte und ist immer noch einer der größten, aber hat sehr viele Nachfolger gefunden in Deutschland bis nach Norddeutschland.
Hermann Sottong: Herr Wirzmüller, die Nutzung dieser Fläche hier oben auf dem Dach für gestaltetes Grün, aber auch für die Bewohner*innen, um zu sagen, ja wir können hier gärtnern und können hier uns auch ganz anders betätigen also da wird nochmal eine Fläche dazugewonnen und Sie haben in einem Vorgespräch zu mir gesagt ja das wird auch umso wichtiger werden, weil wir jetzt einfach die Tendenz haben, Städte nachzuverdichten auch neue Quartieren dichter zu bauen als man das vorher gemacht hat. Man will nicht mehr so viel Fläche verbrauchen. Wo ist aus Ihrer Sicht der Zusammenhang? Also wird es immer wichtiger werden, welche Funktion kann ein Dach-Grün oder ein Dachgarten haben, um nicht nur Grünfläche zu schaffen, sondern auch um soziale Situationen zu verändern. Ich habe vorhin die Stichworte gesagt Oase, Meditation, also schaff dir auch Ruhe in einer an sich immer verdichteten und stressigeren sozialen Umwelt.
Rupert Wirzmüller: Es ist eine Tatsache, dass die Städte noch dichter werden bis an die Grenze dessen, was man vielleicht als menschengerecht ansehen kann. Wenn wir jetzt in Hamburg oder in Wien schauen, wie das Zehn-Geschosser nebeneinander gestellt werden im Prinzip der gleiche Städtebau wie hier, nur doppelt so hoch. Das heißt, dass einfach doppelt so viele Leute auf einem halb so sonnigen Hof zusammenkommen, und da gibt es eigentlich keine andere Entscheidung als entweder große Parks danebenzubauen was ja auch wieder nicht flächensparend ist. Oder die letzten Flächenreserven, nämlich die am Dach, auszunutzen. Mehr zu machen als nur extensive Gründächer oder vielleicht sogar nur Kiesdächer, und auch mehr zu machen als Energiedächer, also Photovoltaik-Dächer. Das ist die große Entscheidung im Moment, welche Dächer werden zur Energieerzeugung genutzt und welche werden Dachgärten. Das sind im Prinzip in den Großstädten die zwei Varianten, um solche Dächer zu nutzen. Also echte Dachgärten. Das ist mir wichtig zu sagen, dass das keine Dachterrasse ist. Oft sind es Dachterrassen, große Hofflächen mit Drögen und was uns dann wieder fehlt ist das Grün, also das echte Grün, das auch mal wild wachsen kann, das nicht so intensiv gepflegt werden muss, wo auch mal Vögel oder Eichhörnchen rumhüpfen. Das gibt es nur in einem Garten und nicht auf einer befestigten Terrasse. Ja, das klingt so, als wären wir kurz vorm Absprung, aus der Stadt wieder raus in die Natur oder aufs Land aber für mich ist er eigentlich eher andersherum. Wir brauchen die Städte oder kommt von selbst die Verstädterung und das ist für mich eine Möglichkeit, wo Familien oder Menschen in der Stadt trotzdem gut leben können im Grünen. Und wir werden wahrscheinlich nicht daran vorbeikommen das so weiter zu betreiben.
Hermann Sottong: Es hat ja auch wieder einen energetischen Effekt, wenn ich mich nicht bewegen muss, also wenn ich nicht zusätzliche Mobilität erzeugen muss um das das Bedürfnis nach Grün, und die Forschung zeigt ja im Moment eigentlich deutlich, dass es wichtig ist für unser individuelles Wohlbefinden aber auch für das verträgliche Miteinander, dass es sowas gibt, dann würde ein Dachgarten auch Energie einsparen, einfach weil ja die Menschen am Ort hält und eben überflüssige Bewegungen erspart. Können Sie das hier beobachten oder ist es nur Fantasie?
Doris Knair: Auf jeden Fall ist es attraktiv zuhause zu bleiben. Man muss nicht weit wegfahren und das Besondere hier an dem Dachgarten ist, dass es ein gemeinschaftlicher Teil in dem man Nachbar*innen treffen kann aber es ist auch ein privater Teil, weil es abgeschirmt ist nach außen und es ist eben nicht öffentlich. Es gibt Projekte, die dann sagen, also wir verzichten auf so einen Dachgarten, wir haben einen großen Park nebenan. Aber es ist ganz was anderes in einem großen Park nebenan zu gehen und da in der Öffentlichkeit zu sein, als einen gemeinschaftlichen privaten Teil zu haben, in dem man seine Nachbar*in trifft oder auch mal ganz alleine einfach in der Sonne sitzen kann und es sich wohl sein lassen kann, ohne, dass das fremde Leute vorbeigehen oder Hunde einen beschnuppern.
Hermann Sottong: Ich sehe gerade hinter Ihnen Hummeln und Wildbienen, die sich an den Herbstblumen erfreuen und dahinter ist ein Baum, den man in unseren Breiten nicht alle Tage sieht. Vielleicht sagen sie noch ein paar Worte zur Bepflanzung, weil man kann auf einem Dachgarten nicht eins zu eins das, was am Boden gut ist, reproduzieren.
Rupert Wirzmüller: Ja, das Wichtigste ist das Wasser. In einem Garten haben die Bäume lange Wurzeln nach unten bis vielleicht zum Grundwasser oder in feuchte Bodenregionen. Das können sie am Dach nicht. Deswegen ist das Wichtigste, dass hier bewässert wird. So ökologisch das Projekt auch sein kann und will, es ist trotzdem etwas mehr Technik, nämlich eine automatische Bewässerung. Das ist die Grundlage für das üppige Grün hier oben am Dach. Und dann gibt es natürlich auch Gehölze, Sträucher und kleine Bäume, die den geringen Bodenaufbau vertragen. Sie dürfen gleichzeitig die Abdichtung nicht zerstören. Da ist die Artenauswahl schon begrenzt. Aber das macht nichts. Wenn sich ein Thema wiederholt, zum Beispiel die vielblütige Rose oder der Sommerflieder und man hat dann fünf oder sechs solche Themen. Ich kann damit sehr gut leben. Es ist nicht die pure Wildnis, sondern ein Wiedererkennen von Heckenzimmer zu Heckenzimmer kommt da was wieder. Es sind ja nicht nur heimische Sträucher, sondern auch Sträucher aus Kleinasien so wie der Sommerflieder, den jeder kennt. Die Ölweide hinter mir ist nicht heimisch, aber für den Standort sehr gut geeignet: frosthart, schnittverträglich, alles, was man hier braucht.
Hermann Sottong: Frau Knaier, man merkt, wenn sie erzählen, wie wohl Sie sich hier fühlen wie verbunden Sie mit dem Dachgarten sind. Ist da noch der ein oder andere Wunsch offen oder sagen Sie, im Prinzip ist es hier für mich eine rundum gelungene Sache, ich kann mir im Moment nichts Besseres vorstellen.
Doris Knair: Wenn ich das ganze Haus und den Garten nehme, dann müsste ich jetzt wirklich lange nachdenken, was mir fehlen würde oder welche Wünsche ich hätte. Vielleicht, dass wir ein weniger offenes Haus wären, weil auf unseren Dachgarten und in den Hof kann man einfach so rein. Und manchmal wäre es auch ganz schön, wenn das etwas mehr abgeschlossen wäre. Aber das ist eigentlich marginal. Vor allem auch, weil es wenig Störungen gibt. Also wir haben manchmal Besuch von Leuten hier oben, die eigentlich nicht hier hingehören, aber es ist sehr viel weniger geworden. Wir haben sie freundlich angesprochen und dann gehen sie meistens auch wieder. Und manchmal kommen sie auch wieder. Aber das ist gut Hand zu haben.
Hermann Sottong: Dann bedanke ich mich sehr für Ihre Geduld und, dass Sie da waren und für Ihre Auskunftsfreudigkeit. Ich wünsche Ihnen noch sehr viel Spaß hier in diesem wunderschönen Dachgarten.