Hermann Sottong: Ich stehe hier mit Frau Simone Manns, die sich freundlicherweise bereit erklärt hat, mit uns über dieses tolle Projekt zu sprechen, im Prinz-Eugen-Park in München, ein Baugemeinschaftsprojekt, für mittlerweile ca. 100 Bewohner*innen. Und Sie sind von Anfang an dabei gewesen beim sich Finden dieser Baugemeinschaft und den Planungen, bis zum Einzug vor ca. 3,5 Jahren. Erzählen Sie uns bitte, wie sich die Dinge überhaupt entwickelt haben, wie findet man so viele Menschen, die sich zusammenfinden, um so etwas zu gestalten.
Simone Manns: Ja, wir sind mehr oder weniger zumindest zu Beginn zufällig zusammengekommen, weil Menschen in verschiedener Altersphase, also von jungen Leuten, die vor der Familiengründung standen, bis hin zu Leuten mittleren Alters, mit wachsenden Familien, mit wachsenden Kindern bis hin zu älteren Leuten wie mir, und ich habe mir die Gedanken gemacht, wie will ich eigentlich im Alter leben und was will ich für Rahmenbedingen haben. Und diese Gedanken hat sich jeder für sich gemacht und zufällig durch die Stadt unterstützt, weil sie informiert hat, wie Baugemeinschaften funktionieren können, haben wir uns da zusammengefunden, da gab es am Anfang noch ein Kommen und Gehen von verschiedenen Teilnehmern. Und da haben wir uns zusammengefunden, um eben gemeinsam dieses Projekt mit verschiedenen Architekten und federführend mit dem Büro Vallentin zu erstellen. Das war eine lange Planungsphase von mehr als zwei bis drei Jahren. Am Anfang wussten wir auch nicht, ob wir das Grundstück tatsächlich bekommen und haben schon viel geplant, bevor wir tatsächlich den Zuschlag bekommen haben und mit dem Bau loslegen konnten und dann wirklich in die Umsetzung gehen.
Hermann Sottong: Ich hake da nochmal ein bei der Formulierung. Sie selber haben sich überlegt, wie will ich im Alter leben, aber mal jenseits vom Alter, haben sich hier Menschen gefunden, die ähnliche Vorstellungen haben, wie sie leben wollen, in welcher Art von Architektur, dass es diese ökologischen Aspekte gibt und man muss sich einigen, dass hier sehr viel mit Holz gemacht ist. Holzbau war und ist immer noch, eine relativ exotische Angelegenheit. Das geht weiter bis zu den Grünanlagen, der Anordnung, wie viele Geschosse will man haben. All diese Dinge. Und auch mit der Perspektive, dass man in irgendeiner Form gemeinschaftlich und miteinander lebt, Das ist bestimmt auch der Prozess gewesen, wo wieder Personen gegangen sind und andere sind dazugekommen.
Simone Manns: Ja, wir hatten auch in dieser Vorbereitungsphase Treffen, manchmal auch den ganzen Tag. wo wir sehr darum gerungen und diskutiert haben, was wir für gemeinschaftliche Gebäudeteile errichten. Das war von unser aller Interesse, und auch das von der Stadt, was sie an Kriterien aufgestellt haben. Dass man ein Konzept vorlegen muss für Mobilität und für Gemeinschaftsräumlichkeiten und gemeinsame Nutzung von bestimmten Räumlichkeiten und Örtlichkeiten. Und, dass man dieses Konzept wirklich aus dem Stand überlegt bis in die Konsequenzen hinein, was bedeutet das, was wollen wir, was brauchen wir und dann auch Einigung, weil der Raum natürlich auch begrenzt und teuer zu erstellen ist. Deshalb musste man sich dann auf einige Themen einigen. Wir haben uns dann auf einen großen Gemeinschaftsraum, für Versammlungen, für Feiern, und solche Dinge geeinigt und auf ein Gemeinschaftsbüro und ein Apartment, das wir gemeinsam nutzen können, abwechselnd für Gäste und für alle möglichen Besuche. Aktuell haben wir es einer ukrainischen Familie zur Verfügung gestellt. Wir haben seit Februar oder März eine Familie aufgenommen, das ist jetzt schon die zweite Familie, die geflüchtet ist auf der Ukraine. Dieses Konkrete war natürlich damals nicht sichtbar, aber, dass wir eben Dinge gemeinsam nutzen wollen. Und auf was für Themen wir geeinigt haben, das war ein Diskussionsprozess, der uns aber schon als Nachbarn kennenlernen hat lassen, also, dass wir schon als Nachbarn voneinander erfahren haben, was unsere Wertvorstellungen sind, unseren Vorstellungen vom Alltag, vom Leben, und so ist es jetzt im Alltag auch tatsächlich, dass man im Grunde im Viertel permanent die Nachbarn trifft und kennt und weiß, was sich entwickelt. Das ist sehr lebenswert in dieser Form. Und in einer Großstadt sehr ungewöhnlich, dass man so leben kann. Also Sie kommen mit einer Gruppe hier her und geraten gar nicht erst in die Situation, dass man anonym bleibt oder nichts miteinander anzufangen weiß.
Hermann Sottong: Sie haben ja einige Beispiele erwähnt, Sie leben ja selber in einem der Häuser, die Gemeinschaftsräume haben. Sie haben vorher erzählt, dass wenn Sie so dran denken, wo Sie herkommen, dass Sie auch gesagt haben, ich brauche das alles nicht mehr, ich brauche nicht so viel Fläche, ich brauche nicht so viel Umfang und auch nicht mehr diese ganzen Ressourcen. Das kann man auch teilen. Das gilt ja nicht nur für Sie, das gilt ja für alle, die hier leben, dass sie sich entschieden haben, Dinge zu teilen. Und dadurch ökonomischer und ökologischer zu leben.
Simone Manns: Ja, das ist ein Gewinn. Ich finde, es ist eindeutig ein Gewinn, in diesem sozialen Gefüge so miteinander zu leben und sowohl die Freude, die Feste und alles mögliche zu teilen. Gleichzeitig haben wir alle unsere Rückzugsräume durch die eigenen Wohnung und durch die Privatatmosphäre oder Privatsphäre. Und diese Verbindung mit der Rückzugsmöglichkeit ist für mich optimal. Also da bin ich wirklich sehr sehr glücklich, dass das so gelungen ist. Und ja, meine Suche ist damit erfolgreich beendet. Ich bin angekommen.
Hermann Sottong: Sie würden hier auch nicht mehr freiwillig weggehen?
Simone Manns: Nein, Nein. Das kann ich mir kaum vorstellen.
Hermann Sottong: Ich komme nochmal auf das Thema zurück, Gemeinschaft und Rückzugsräume gleichzeitig zu haben. Was auch wirklich eine ganz wichtige Kombination ist. Also das sich zurückziehen können, das privat leben können, auch als Voraussetzung, dass man die anderen umso lieber wieder trifft. Das spiegelt sich ja hier in der Architektur auch wieder, wenn man diese Gassenstruktur so sieht, dass es so kleine Innenhöfe gibt und, dass es gleichzeitig diese ganzen Verbindungen gibt, die zu Fuß und mit dem Kinderwagen, aber nicht mit dem Auto wahrgenommen werden können. Was wahrscheinlich auch genauso gewollt war. Dass es offene Grünflächen gibt und, dass es aber auch privat genutzte gibt. Wie trifft man sich hier immer wieder? Sie haben ja schon angedeutet, dass sie viel voneinander wissen, natürlich auch durch den Prozess der gemeinsamen Gestaltung, aber wahrscheinlich auch durch das gemeinsame Leben hier, dass es verschiedene Gruppen gibt, die sich über verschiedene Interessen finden und miteinander was tun. Können Sie dazu noch was sagen?
Simone Manns: Ja, im Laufe der Jahre gab es verschiedene Interessen. Manche haben einen mehrjährigen Fortbestand und andere gibt es mal eine Zeit lang. Ich habe mal mitbekommen, dass es eine Laufgruppe gab. Davon hab ich jetzt schon länger nichts mehr gehört. Es kann sein, dass die Laufgruppe nicht mehr existiert. Aber jetzt gibt es im Moment z.B. eine Yogagruppe oder es gibt Engagement für Kinder. Eine Mitbewohnerin hat angeboten, für alle Kinder einmal in der Woche oder 14-tägig ein Kinderkino zu veranstalten in unserem Gemeinschaftsraum und da sind die Kinder aller Häuser eingeladen und es werden Filme für bestimmte Altersstufen gezeigt und zuvor auch etwas erzählt zur Geschichte des Filmes. Und unser Garten, der sich ja auch an den Balkonen abspielt und dann aber auch auf dem Anger, da ist unser Gemüsegarten, da gibt es private, kleinere Parzellen, die man nutzen kann, also nach Absprache. Es gibt aber auch einen öffentlichen Bereich mit diesen Bepflanzungen. Und darum kümmern wir uns natürlich selber. Da gibt es die AG Grün, die mehrmals im Jahr zu einer gemeinsamen Tätigkeit am Wochenende aufruft und dann finden sich da die Leute zusammen zum Teil auch unter fachlicher Anleitung, weil ich glaube, wir haben auch ein oder zwei Gartenarchitekten in unserer Baugemeinschaft, die sich um die Pflanzen kümmern. Ich bin da nicht so bewandert. Damit kenne ich mich nicht gut aus. Ich koche dann lieber die Kartoffelsuppe oder die Kürbissuppe, oder back den Kuchen für die Versorgung an diesem Tag. Es gibt durchlaufende Dinge und es gibt Dinge, die immer mal eine Zeit lang entstehen, aber dann auch wieder verschwinden.
Hermann Sottong: Sie sind ja hier wahrscheinlich eingezogen mit bestimmten Erwartungen, also sowohl an die Wohnung selbst, als auch an die Architektur. Aber auch vor allem an das Leben hier, an das Miteinander. Wo sind da Ihre Erwartungen übertroffen?
Simone Manns: Wo der tatsächliche Gewinn und das Positive übertroffen ist, ist in diesem Zusammenleben, in diesen zwischenmenschlichen Beziehungen in der Nachbarschaft, in der Umgebung, wie sie gestaltet ist, wo wir leben in München, wie die Wege, die Mobilität auch mit Fahrrädern und Lastenrädern und mit Unterstützung durch die Nachbarschaft tatsächlich gegeben ist, das ist weitaus übertroffen von den ursprünglichen Erwartungen. Da muss ich wirklich sagen, da mache ich überwiegend nur bessere Erfahrungen, als ich gedacht habe. In der architektonischen Umsetzung, glaube ich, können wir alle noch lernen. Also mich interessiert Architektur und ich habe schon an verschiedenen Stellen umgebaut oder gebaut, hab aber in der Zusammenarbeit gemerkt, dass es wirklich noch nicht so viele Büros gibt, die gute Erfahrungen haben und diese Erfahrung auch in Form von Strukturen nutzen, dass Kommunikationsstrukturen existieren, dass Entscheidungsstrukturen existieren, das war eher ein problematischer Bereich.
Hermann Sottong: Danke, das ist spannend. Und zum Abschluss eine Frage noch: Würden Sie sagen, dass dies hier ein Modell ist, nicht nur für das Bauen, weil man kann natürlich auch Bestand nutzen, aber für das Miteinander leben in der Stadt der Zukunft?
Simone Manns: Ja absolut. Ich merke ja auch, dass viele Städte sich dafür interessieren. Wir bekommen manchmal Anrufe aus anderen Städten, wo sich Städteplaner für diese Konzeptionen interessieren und wenn ich mich auch in meiner Altersgruppe umschaue, wir sind jetzt über 60 und meine ganzen Freunde und Bekannten, die Kinder sind aus dem Haus weitgehend und man fragt sich, wie es weitergeht. Viele haben den Traum vom Zusammenleben. Von einer Alters-WG. Da frage ich mich, wer wird das umsetzen. Wenn wir nicht früh genug anfangen, solche Wohnformen zu entwickeln. Und ich hab es auch selber gemerkt, dass es richtig anstrengend war, mit Mitte 60 nochmal umzuziehen. Das mache ich mit 70 oder 80 Jahren nicht mehr. Außer ins Altersheim, wenn es nötig wird. Aber ich glaube, dass viele von bestimmten Lebensformen und Gemeinschaften träumen, aber wenn wir nicht rechtzeitig in die Umsetzung gehen, dann wird das richtig schwierig. Und diese Mehrgenerationen-Wohnform hier bedeutet für mich, dass ich lange hier leben kann, meine Kinder auch in der näheren Umgebung sind, aber sie sind auch frei genug, irgendwo anders auf der Welt zu leben und zu arbeiten, weil sie mich hier mich hier in einer guten Gemeinschaft wissen, und weil sie wissen, dass sie auch gehen können und was anderes tun können, weil Nachbarn da sind und weil es eine gute Wohnform gibt in der sie auch beispielsweise in der Nutzung des Gästeapartments mit ihren eigenen Familien hierher kommen können, um einfach mal einen längeren Besuch zu haben oder sich zu irgendwelchen Festivitäten treffen. Und da glaube ich, dass es gar nicht sinnvoll ist, dass ich selber ein Gästezimmer jahrelang vorhalte. Das brauche ich nicht unbedingt. Aber, dass es in den Hausgemeinschaften überall Gästeapartments gibt. Und selbst, wenn es besetzt ist, kann ich im Nachbarhaus nachfragen, ob da das Apartment frei ist. Auch da sind wir digital verbunden über ein Netzwerk, dass wir tatsächlich sehen können, wo welche Gästeapartments frei sind und nachfragen können. Und das ist wunderbar. Es gibt ein Quartiersmanagement, das sich genau um diese Vernetzung kümmert. Es gibt Dinge wie ein Repaircafe und Gesprächsrunden wo die Stadt auch Stellen finanziert für diese Vernetzung untereinander. Jetzt nicht nur im eigenen Haus, wie es hier existiert, sondern über die ganzen Häuser und über das ganze Quartier hinweg in dem etwa 5000 Menschen leben auch schaut und das tatsächlich unterstützt, dass das leicht und schnell wachsen kann.
Hermann Sottong: Frau Manns, vielen lieben Dank! Das war sehr informativ und spannend.